Wo wollen wir hin? – Eine gemeinsame Geschichte
Wir brauchen anderen Geschichtsuntericht: Ich habe im Unterricht viel über weit entfernte Geschichte und die Entstehung der (europäischen) Welt gelernt. Und genauso viel auch wieder vergessen, zu großen Teilen weil es mich nicht mehr direkt betrifft.
Was mich viel mehr betrifft ist die Geschichte die ich direkt neben mir sitzen und um mich herum habe: Geschichte über Migration nach Deutschland. Geschichte über Kolonialisierung und deren Auswirkungen auf heute. Geschichte über die DDR und die „Öffnung der Mauer“. Das habe ich nirgends gelernt und ich halte es für so viel wichtiger, als genaue Daten der französischen Revolution auswendig zu lernen.
Vielleicht erspart das auch Deutsche*n mit Migrationshintergrund die blöden Fragerei wo man den nun wirklich herkomme. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass das Menschen sofort in eine „Du bist sichtlich anders als ich/wir“ Situation bringt und man kann es auch nicht mit Neugier verwechseln, wenn es innerhalb der ersten Gesprächsfetzen kommt. Es ist nicht nur „Othering“ vom Feinsten – ich kann es auch aus einer anderen Perspektive nicht verstehen: Es ist schlicht unhöflich. Es betrifft ja immer die persönliche Geschichte von Menschen – das ist doch so als ob ich frage ob deine Eltern verheiratet sind oder du religiös bist! Das geht dich wirklich erst mal nichts an.
Vielleicht würden wir – wenn wir in der Schule schon lernen würden, dass Deutschland ein Land mit vielen Migrationsgeschichten ist – nicht mehr diese Fragen stellen. Und wir würden endlich über etwas sprechen, was wir doch eigentlich schon haben: Eine gemeinsame Geschichte.
Gedanken beim Lesen von „Eure Heimat ist unser Albtraum“ Hrsg. von Fatma Ayedemir und Hengameh Yaghoobifarah – Spezifisch inspiriert von dem Text von Mithu Sanyal „Zuhause“ wo sie schließt mit der Idee, dass wir eine gemeinsame Geschichte zum erzählen brauchen, um gemeinsam zu wissen wo wir hingehen wollen.
Müssen wir lernen „Deutsch sein“ neutral zu bewerten?
Ich hab mir am Wochenende eine Dokumentation über Rechtsrock-Festivals angesehen und wurde stark an meine Teenie-Zeit erinnert. Damals habe ich mich so wahnsinnig geschämt Deutsche zu sein und ich habe mich oft auf meine österreichische Mutter berufen – somit war ich ja nicht ganz deutsch. Warum hab ich mich geschämt? Weil es in der nordhessischen Gegend in der ich aufwuchs, viele rechte Jugendliche, Baby-Neo-Nazis gab (auch damals schon mit codierter Kleidung, im übrigen). Ich wollte auf gar keinen Fall zu denen gehören oder dass andere denken könnten ich gehöre zu denen. Mein Wunsch war es auszuwandern, raus aus diesem Land, welches eine solch furchtbare Geschichte hat (die wir in der Schule viel besprachen) und aus meiner Sicht wurde damals irgendwie auch schon weg gesehen.
Das Thema „deutsch sein“ hat mich nicht losgelassen – stolz konnte ich nie sein und heute weiß ich, dass ich im allgemeinen Nationalstolz (in jedem Land) falsch finde. Aber was ist die Alternative? Vielleicht eine neutrale Einstellung dazu anzustreben? Eine die uns nicht schon in eine Ecke stellt? Mein Endruck ist, dass andere Länder schon lange einen anderen Blick auf Deutsche haben, als nur den Nazi-Blick. Viel ist seither aus den Augen anderer Länder passiert: Industrie, Merkel, Bier – Made in Germany. Könnten wir es nicht vielleicht schaffen, einen neutralen Blick auf dieses Land zu haben – keinen besonders stolzen, aber eben auch keinen negativen? Denn ich will mir nicht von Rechtsradikalen sagen lassen, was Deutsch sein ist. Das will ich mir einfach nicht gefallen lassen. Solange ich hier lebe, will ich mir von denen nicht sagen lassen wer oder was ein Teil von mir ist. Wenn die von „deutsch sein“ reden, möchte ich schreiben „NEIN, nicht mit mir“. Aber sollte der Umkehrschluss nicht sein, dass wir „deutsch sein“ nicht rechts betrachten – sondern eben versuchen (ja, ist nicht einfach) es neutral zu sehen?
Denn letztendlich ist es doch nichts anderes als eine Augenfarbe – ich bin hier hineingeboren, das konnte ich mir nicht aussuchen. Es ist eine „Beschreibung“, oder? Kein Charakterzug. Deswegen kann man doch auch nicht darauf stolz sein – denn es hat ja nichts mit etwas zu tun, was ich erreicht habe. Natürlich ist es ein Privileg hier aufzuwachsen – aber nicht weil „deutsch sein“ so toll ist, sondern weil wir so viel haben – auch als Europäer – so viele Chancen, die Menschen mit anderen Nationalitäten nicht automatisch haben.
Oft sehe ich mich übrigens lieber als Europäerin, aber je mehr Rechtsdruck da kommt, desto unsicher werde ich ob das wirklich die bessere Lösung ist. Und ob ich nicht meine Einstellung zu Nationalitäten ändern sollte.
Mehr Mut im Marketing.
Ich habe gerade den ersten Leitartikel „Sogar als Frau“ der „brandeins – Frauen/Männer/Arbeit“-Ausgabe gelesen und habe eine besonders spannende Sache die mich beschäftigt: Es ging um eine Messe, die „Man’s World“ genannt wurde – es geht um Dinge die (laut Veranstalter) Männern Spaß machen: Flugsimulator bis Maßschneiderei – auf der Webseite sehe ich Whisky und Oliven. Eigentlich von Grund auf etwas was ich ätzend finde: 1. ich mag auch Oliven und mit Whisky kann ich auch was anfangen und nen Flugsimulator – warum nicht? und 2. wieso muss es dann eben Man’s World heißen?
Aber der Mann der das Ganze entwickelt hat ist klug: Er arbeitet mit gemischtem Team und stellt Regeln auf, die der Name nicht erwarten lässt: Sex ist tabu und Autos werden nicht von Frauen in knappen Outfits präsentiert. Das Ergebnis? 40% der Besucher*innen sind Frauen.
Überrascht es mich? Irgendwie schon! Und das wiederum überrascht mich auch sehr, denn ich habe ja selbst gesagt dass ich diese Sachen spannend finden kann. Anscheinend schreckt der Name Frauen nicht ab – wobei ich abgeschreckt wäre, wenn ich nicht nochmal explizit als Frau angesprochen werde. Auch auf der Webseite sehe ich nur in „Nebenbildern“ Frauen, die auch auf der Messe sind.
Warum also diesen Namen wählen – im Artikel heißt es, dass es durchaus Absicht war, dass der Titel provoziert: Der Veranstalter empfindet die Diskussion darum als „verkrampft“ und wünscht sich in diesen Klischees mehr Mut. Mehr Mut was anderes zu tun? Mehr Mut die Klischees zu verdeutlichen? Ich finde diese Klischees auch schrecklich, und doch wusste ich ja sofort was er meinte: Die Bilder auf der Webseite der Messe haben mir genau das gezeigt was ich erwartet habe: gedämpftes Licht, Holz – klassische Oldtimer.
Ich habe mir mal eine BEEF gekauft, aus dem gleichen Grund warum ich die Messe spannend finde: Die Idee das Thema „Kochen“ mal anders anzugehen, hat mich gereizt und gestalterisch war die Zeitung sehr gelungen. Voll meins. Bis ich mehr darin las und tatsächlich durch entgleiste, sexistische Kommentare entsetzt war: Ein männlicher Leser beschwerte sich darüber, dass anscheinend in der vorherigen Ausgabe darüber geschrieben wurde, dass Männer die besseren Köche seien. Er schrieb, dass er Verständnis habe für den „männlichen Ansatz“ des Magazins, aber der Meinung ist Frauen können genauso gut kochen wie Männer – das habe nicht mit dem Geschlecht zu tun. Die Reaktion reagierte vollkommen daneben (leider habe ich das Magazin scheinbar aus Wut entsorgt), sie schrieb etwas ähnliches wie „doch, Männer sind die besseren Köche“ vielleicht fügten sie noch was hinzu, dass die Starköche fast alle männlich sind? Ich weiß es nicht mehr. Ich war vollkommen sprachlos und bin es bis heute. Das Konzept der Zeitschrift sprach mich total an – aber das hat mich diese Zeitschrift nie wieder kaufen lassen, ich kann nicht mal mehr über die Werbung des Magazins schmunzeln. Ich bin einfach nur scheiß wütend.
Und genau da ist der Unterschied, oder? Frauen gehen auch auf diese Messe, vielleicht mit Kollegen oder dem Partner und fühlen sich wohl, es ist keine frauenfeindliche Atmosphäre und schon entwickelt sich das Ganze von allein: Das nächste Mal geht sie vielleicht alleine oder mit der besten Freundin. Im Gegensatz zu BEEF hat diese Messe scheinbar den richtigen Weg gefunden. Trotzdem ist es traurig, dass sich die Messe nicht „Women’s Word“ nennen kann und das Gleiche passieren würde. Das ist auch mit ein großer Grund (meiner Meinung nach), warum viele Frauen ein Problem damit haben sich für Frauenrechte oder Ungerechtigkeiten einzusetzen: Sie können sich nicht mit dem Klischee identifizieren, welche die Gesellschaft für sie vorbereitet hat. Nicht alle Frauen können mit Pferden und Glitzer was anfangen. Und auch Männer sollten sich für solche Dinge begeistern dürfen. Und dann wollen diese Frauen mit dem Klischee nichts zu tun haben. Ich bin so eine Frau. Oder war. Um jeden Preis habe ich viele Klischees vermieden und bin dadurch in noch mehr reingetappt. Weil durch die absichtliche Vermeidung von Klischees, der gleiche Fehler gemacht wird, wie wenn man einem Klischee blind folgt: Die Entscheidung hat man nicht „frei“ getroffen, sondern das Klischee für einen. Dadurch finde ich also nicht das beste für mich, sondern eben nur das was die Welt für mich hat oder mir eben vorenthält.
Finde ich nun gut, wie das Klischee gedreht wird, oder unterstützt es damit nicht die Klischees und verändert nichts, macht den Graben zwischen uns noch größer? Als Kommunikationsdesignerin muss auch ich immer wieder mit Klischees arbeiten und kann somit sehr gut nachvollziehen, warum und wie sowas entsteht.
Design löst Probleme, findet Wege, zeigt Richtungen.
In der Feminismus-Debatte offen bleiben
Gerade habe ich diesen wundervollen Artikel über piqed von Antje Schrupp gefunden. Er spricht mir aus der Seele. Es geht um die großen Themen wie „Falscher Feminismus“ und „Richtiger Feminismus“ – Etwas was mir an so vielen Stellen schon den Kopf zerbrochen hat – manchmal auch das Herz. Denn diese – da ist es wieder – schwarz-weiße Denkweise führt uns niemals weiter. Wenn wir uns immer direkt verurteilen und niemanden eine andere Meinung auch nur formulieren lassen, kommen wir niemals weiter. Wir zwingen anderen unsere Meinung auf und lachen über anders denkende. Wie arrogant und ignorant.
Ich will mich natürlich nicht selbst ausschließen – auch mir fällt es manchmal schwer ruhig zu bleiben, wenn jemand einen (für mich) vollkommen falschen Schluss zieht. Aber eigentlich muss man dann mit Ruhe sagen – Zitat Antje Schrupp –:
„Da bin ich vollkommen anderer Meinung als du.“
Ein Zauber – man ist ehrlich und gleichzeitig offen. Vielleicht hat die gegenübersitzende Person sogar einen sehr spannenden Gedankengang dazu. Ich rede oft auch mit Freund*innen darüber, ob man Menschen mit anderen Mindset überhaupt entgegen treten soll – ob man die Kraft aufwenden soll etwas zu sagen. Für mich – ein klares Ja. Ja, es kostet Kraft. Aber wenn wir es nicht tun – wie kann ich denn jemals Änderung verlangen? Wenn niemand ehrlich ist? Wenn sich niemand die Mühe macht, Ihnen zu erklären wie der Gegengedanke ist?
Klar, wenn man merkt, dass man die Diskussion mit jemanden führt, der/die einen nur provozieren möchte – ok, dann kann man es auch abbrechen. Aber wenn wir diese vermeintlich „falschen“ Denkweisen immer direkt angreifen und ihnen keine Möglichkeit, keinen Raum geben sich neu zu positionieren – wie sollen sie das den tun können ohne ihr Gesicht zu verlieren?
Ich für meinen Teil, will mir diesen schönen Satz merken – und mehr verwenden.
http://www.zeit.de/kultur/2017-11/feminismus-sexismus-antifeminismus-debatte-10nach8
Erkenntnis #1 – Erkenntnis heißt nicht Verinnerlichen
Wenn Menschen einen falsch interpretieren, ist das allein deren Verlust. Man selbst kann daran kaum etwas ändern. Aber es ist nicht leicht, das so auch zu leben und zu verdauen.
Wie oft haben mich Mitmenschen darauf hingewiesen, dass sie mich falsch interpretiert haben, dachten ich sei arrogant oder eingebildet. Und dann viel später stellen sie fest: ich bin es nicht. Aber es schien mir nie so, als ob diese Menschen es auf Ihre Kappe nehmen – dass sie es als Ihren Fehler sehen. Vielmehr wurde mir erklärt, wie es dazu kam: Wie ich mich verhalten habe, mein Gesichtsausdruck etc. Das sie das Ganze falsch interpretiert haben und ich nichts an meinem Gesichtsausdruck ändern kann, ist ihnen – scheinbar – nie in den Sinn gekommen.
Ich wünsche ich hätte diese Erkenntnis schon viel früher in mir gehabt. Sie früher verinnerlicht. Jetzt sehe ich es klar: es ist Teil einer systemischen Unterdrückung, etwas was wir lernen durch unsere Gesellschaft. Mir hat noch nie ein Mann von solchen Erlebnissen erzählt (aber ich bin offen für Stories und schließe das nicht grundsätzlich aus), es ist aber etwas was ich schon häufig von Frauen gehört habe.
Wie groß meine Gefühle, als ich das Buch von Sharyl Sandberg „Lean in“ gelesen habe: Ein Gefühl zwischen Ohnmacht und Erleichterung – mehr im Sinne der Erkenntnis. Endlich stand das was ich regelmäßig erlebt habe „Schwarz auf Weiß“ vor mir: Frauen werden in vielen Dingen negativer bewertet, in Dingen wie Sympathie und Erfolg. Sprich: Mein Gesichtsausdruck wird als arrogant und eingebildet gewertet, sprich: ich habe es schwerer mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, ihr Vertrauen zu erhalten. Während ein Mann mit dem gleichen Gesichtsausdruck (der Gesichtsausdruck ist: Nicht-Lächelnd) nicht so interpretiert wird. Sondern vielleicht nur konzentriert wirkt.
Tatsächlich hat mich diese Erkenntnis erst mal noch mehr gelähmt. Ich hatte Angst davor, war immer vorsichtig, dass ich nicht unfreundlich wirke und habe viel (zu viel) freundlich gelächelt. Auch weil ich dachte, ich habe keine richtige Wahl: Ich bin als Selbstständige auf den ersten Eindruck angewiesen. Wenn mich jemand erst mal 3 Jahr kennen muss, um zu erkennen, dass ich ja eigentlich gar nicht so arrogant bin, bin ich schon pleite.
Das ist einfach so ungerecht. Wieso ist es so viel schwerer für Frauen (auch unter Frauen) Sympathie und Kompetenz auszustrahlen? Man kann beides ausstrahlen, jedoch wird es wahrscheinlich anders interpretiert.
Mein persönlicher Weg zum Feminismus
Ich bin noch nie so richtig der Meinung gewesen, als Mädchen ist man vollkommen gleichberechtigt wie die Jungs. Und ich rede hier ganz bewusst von Mädchen und Jungs, weil ich Kinder meine. Ich bin in Hessen aufgewachsen. Und die Hessen sprechen über Mädchen in der dritten Person mit „es“. Mit einem laaaangem E. „Eeees hat ja komische Schuhe an“ Ganz furchtbar fand ich das. Und ungerecht – denn Jungs waren immer eine vollwertige Person.
Ich war kein „Tomboy“ – meine Lieblingskleider waren rosa und lila und ich hatte lange blonde Haare. Trotzdem habe ich gerne herumgetollt und viel Quatsch gemacht. Mein jüngerer Bruder und ich sind von meinen Eltern ungefähr gleich aufgezogen worden. Ungefähr – weil es nie vollendete Gleichheit unter Geschwister geben wird. Ich bekam also nie die Erklärung zu hören „Weil du ein Mädchen bist…“. Meine Mutter fand meine Lieblingsfarbe befremdlich (Sie mag Grün). Meine Heldinnen waren ganz unterschiedlich: Ronja Räubertochter und Pocahontas.
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten hätte nur richtig starke Frauen als Idole gehabt. Aber während meine Klassenkameradinnen die Schmalzlocken von N-Sync und BackstreetBoys anschmachteten und fand ich TicTacToe große Klasse. Die Stärke und Attitüde in ihren Songs hat mir selbst auch Stärke gegeben. Ich habe mich eigentlich immer eher mit weiblichen Charakteren identifizieren können. Davon gab es leider nicht allzuviele. Die klassischen Mädchen-Lektüren wie die „Wendy“, waren was für die braven Mädchen – das passte irgendwie nicht zu mir.
Doch brav funktioniert oft besser für Mädchen – wenn man nicht lieb ist und nett lächelt, wird man schnell abgestempelt und wird Außenseiterin. Ungleichheiten fielen mir hier schnell auf: Mädchen dürfen nicht so viele Freunde haben, Mädchen müssen von Jungs erobert werden – Mädchen müssen schön aussehen. Jungs können (sollen sogar) viel Erfahrungen sammeln und mit den richtigen Sneakers und der passenden Jeans wird das schon. Mädchen werden von oben bis unten bewertet: Nase (was ein Oschi), Augen (solche Glubscher), Haare (wäscht du die auch mal?), Arme (Wabbel, Wabbel), Bauch (erwartest du was?). Es zählt nicht was du kannst und was dich ausmacht. Zumindest ist das meine Beobachtung meiner Umgebung aus den 90/00 Jahren. Bis dahin: nur Beobachtungen. Niemand sprach je so etwas wie Ungleichheit mir gegebenüber an. In der Schule wurde darüber nie gesprochen. Hätte es jemand getan, ich wäre sicher schon früher aufgesprungen. #bodyimage
Als ich nun langsam älter wurde, wurden die Unterschiede deutlicher. Mein ersten feministische Buch war „Bitterfotze“ von Maria Sveland. Ich habe es gekauft als es raus kam, weil es irgendwo als feministisches Buch empfohlen war. Warum ich alle anderen Bücher die es zu der Zeit auch gab, nicht entdeckt habe ist mir ein Rätsel. „Bitterfotze“ stellte mich vor eine Frage, die ich mir so noch nie jemand gestellt hat: Du hast die Wahl: Kinder oder Karriere? Denn als Frau ist nicht beides so ohne Weiteres drin. Zumindest nicht, ohne dass die Gesellschaft dich verurteilt, dich als Rabenmutter hinstellt oder als karrieregeil. Und das Schlimmste war: Ich hörte es von überall, von Menschen in meinem Alter – und jünger! Und der Mann wurde aus dieser Verurteilung gar nicht mit einbezogen. Wenn jemand die Kinder nicht „anständig“ betreute, dann war die Frau die Rabenmutter oder verpasste Ihre Karriere.
Aber ich liebe meinen Job. Ich will „Karriere“ machen, wenn das bedeutet ich bin gut in dem was ich tue und ich mache es auch noch verdammt gerne. Und ich will mich nicht dafür entschuldigen. Ich will aber auch mal Kinder haben. Warum soll ich mich entscheiden müssen, Männer müssen sich auch nicht entscheiden. Oder entschuldigen.
Nun bin ich selbstständig. Ich bin Inhaberin eines jungen Branding-Studios in Berlin gemeinsam mit meinem Geschäftspartner. Und vielleicht erlebte ich auf Grund dieser Kombination (Männlein – Weiblein) eine ganz bestimmte Art von Sexismus, den ich (vielleicht) nicht erleben würde, wenn ich mit einer Frau zusammen arbeiten würde. Es wurde zum Beispiel schon häufiger davon ausgegangen, dass ich die Mitarbeiterin bin und nicht auch Chefin. Ich beobachte oft, dass ich als Frau wesentlich kritischer beäugt werde und schneller „bossy“ wirke. Das weiß ich, weil eine Kundin sich mal bei meinem Partner beschwert, weil sie Angst vor mir hatte. Achso – nicht sie selbst hat sich beschwert – es war ihr Mann.
Ich kann mich also nicht nicht damit beschäftigen. Ich habe keine Wahl. Es ist ständig präsent.
Schwarz-Weißes Denken – oder leben in der Zwischenwelt
Ich befand mich vor Kurzem in einer Situation, die mich sehr unglücklich gemacht hat. Am Tisch mit Freunden/Bekannten, beim Essen: um mich herum wurde wild diskutiert. Das heißt eigentlich wurde nicht diskutiert – es fand kein „Diskurs“ statt, sondern es wurden große Meinungen vorgetragen. Vergleiche gezogen. Extrembeispiele mit anderen Extrembeispielen verglichen um die eigene Meinung deutlich zu machen.
Ich habe mich sehr unwohl gefühlt, in mir brodelte es – alles war viel zu schwarz weiß dargestellt. Was ich meine ist: Extreme. Es wurde keine Zwischenwelt, kein Verständnis für die eine oder andere Seite aufgebracht. Und obwohl auch ich Dinge kenne, bei denen es auch für mich an Verständnis fehlt: Ich kann es nicht über mich bringen alles und jenen immer gleich zu verurteilen. In Gut und Schlecht einzuteilen. Ich kann es nicht. Ich kann mir nicht helfen, ich muss mich immer fragen, ob ich beim verurteilen nicht gerade etwas Wichtiges übersehe. Und das tue ich sicher. Und ja, sicher es ist so viel einfacher alles so schwarz weiß zu sehen. Aber nicht für mich. Für mich macht es einfach alles komplizierter.
Denn ich kann mich nicht ausnehmen. Ich vergesse nicht, wie ich vielleicht selbst schon mal etwa getan habe, das hier und jetzt in eine Kategorie fällt oder so interpretiert werden kann. Wer kann sich schon frei sprechen, von solchen Dingen? Und genau da, sitzt meine Frage: Wie können wir so schnell verurteilen, wenn wir doch selbst niemals so schwarz weiß sind?
Ein relativ unpolitisches, neutrales Beispiel sei hier dargestellt:
Wie können wir beispielsweise stolz erzählen, kein Apple-Fingerprint zu verwenden („denn die NSA soll den nicht kriegen!“) und gleich stolz am nächsten Tag davon sprechen, dass man alles mit der Kreditkarte verbunden hat und nur noch mit dieser zahlt? Wie kann man in der einen Ecke so verurteilend über das Eine (denn es war klar, dass mein Fingerprint schon gelagert wird), aber nicht reflektierend über sich selbst sprechen? Wieso überhaupt urteilen? Ich habe in dem Moment Niemanden von möglichen Gefahren der Kreditkartenbezahlung erzählt – warum auch?
Ich habe mich nach der wilden Meinungsverteilung am Tisch ein wenig zurückgezogen und diesen Artikel hier gelesen und mich schnell verstanden gefühlt. Hier ist er, für alle die mit mir fühlen 😉
Privilegien erkennen und verstehen – „Unter Weißen – was es heißt privilegiert zu sein“ von Mohamed Amjahid
Ich bin so fasziniert und begeistern von diesem Buch, dass ich vermutlich seitenweise darüber schreiben könnte. Ich habe so viel gelernt und hatte eine Menge Aha-Momente. Ich bin sehr dankbar für dieses Buch, denn ich versuche mich richtig verhalten und meine Privilegien zu verstehen und doch weiß ich manchmal nicht wie.
So dachte ich lange die Bezeichnung "farbig" ist die politisch korrekte. Woher dieser Glaube kam, kann ich gar nicht genau sagen, wahrscheinlich aus dem amerikanischen "Colored". Aber es macht total Sinn, dass es natürlich eine Form von Othering ist, wenn ich eine bestimmte Gruppe Menschen als farbig und die anderen als was – farblos? – bezeichne? Das ist auch ein Begriff den ich gelernt habe:
Othering – eine Gruppe von Menschen durch "Anderssein" erklären und sich und "seine" Gruppe davon zu differenzieren
Wie oft habe ich schon eine Situation erlebt, in der ich mich unwohl gefühlt habe, aber nicht sagen konnte warum. Wie oft ich schon in Diskussion mit offensichtlichen Rassisten und nicht so offensichtlichen Rassisten war, ohne richtig zu wissen wie ich gegen die antreten kann. Aber mein "Bauchgefühl" mir einfach gesagt hat, dass es falsch ist was die sagen und tun – einfach vollkommen falsch. Es ist nicht leicht gegen sowas anzukommen. Aber ich bin der Meinung, wenn ich es nicht schaffe, dann kann ich es von niemandem sonst verlangen, also muss ich besser werden.
Zum Beispiel, ich weiß noch wie ich bemerkte, dass Viele eine Art "gute" Ausländer und "schlechte" Ausländer Regelung haben. Und damit auch erklären, warum sie selbst nicht rassistisch sind. Denn sie haben ja, diesen oder jenen Freund/Freundin.
Ich bin in einer ländlichen Gegend aufgewachsen und mir wird mit der Zeit immer bewusster, dass nicht alle Menschen eine Multikulturelle Umgebung kennen. Wenn man auf dem Dorf aufwächst sieht man so gut wie nur Weiße. Und alle gehen in die gleiche Kirche. Ich fand Amerika immer faszinierend, weil ich diese vielen Kulturen, vielen unterschiedlichen Menschen spannend fand. Ich denke auch deswegen, hat mir HipHop so gefallen. Besonders in Deutschland, war das die Subkultur mit den meisten Kulturen, die sich gegenseitig akzeptierten.
So absurd es klingt: Ich wurde selbst von manchen "Dorfbewohnern" als "fremd" wahrgenommen, weil meine Mutter aus Österreich kam. Natürlich passierte das nicht oft und es ist in keinem Fall mit Rassismus vergleichbar – das will ich nicht sagen. My Point is: Wenn es schon ungewöhnlich ist, dass nicht beide Elternteile aus Deutschland oder eben aus dem selben Dorf kommen, wie fremd ist es dann wenn jemand auch noch nicht so aussieht wie alle anderen Dorfbewohner? So wahnsinnig absurd.
Ich denke ich werde dieses Buch wohl in Zukunft immer mal wieder konsultieren um mich für die nächsten möglichen Diskussionen vorzubereiten. Ich werde mich hier auch weiter informieren, ich habe letztens von dem Buch "Mit Rechten reden" gehört und das hört sich auch sehr spannend an.