Müssen wir lernen „Deutsch sein“ neutral zu bewerten?

Ich hab mir am Wochenende eine Dokumentation über Rechtsrock-Festivals angesehen und wurde stark an meine Teenie-Zeit erinnert. Damals habe ich mich so wahnsinnig geschämt Deutsche zu sein und ich habe mich oft auf meine österreichische Mutter berufen – somit war ich ja nicht ganz deutsch. Warum hab ich mich geschämt? Weil es in der nordhessischen Gegend in der ich aufwuchs, viele rechte Jugendliche, Baby-Neo-Nazis gab (auch damals schon mit codierter Kleidung, im übrigen). Ich wollte auf gar keinen Fall zu denen gehören oder dass andere denken könnten ich gehöre zu denen. Mein Wunsch war es auszuwandern, raus aus diesem Land, welches eine solch furchtbare Geschichte hat (die wir in der Schule viel besprachen) und aus meiner Sicht wurde damals irgendwie auch schon weg gesehen.

Das Thema „deutsch sein“ hat mich nicht losgelassen – stolz konnte ich nie sein und heute weiß ich, dass ich im allgemeinen Nationalstolz (in jedem Land) falsch finde. Aber was ist die Alternative? Vielleicht eine neutrale Einstellung dazu anzustreben? Eine die uns nicht schon in eine Ecke stellt? Mein Endruck ist, dass andere Länder schon lange einen anderen Blick auf Deutsche haben, als nur den Nazi-Blick. Viel ist seither aus den Augen anderer Länder passiert: Industrie, Merkel, Bier – Made in Germany. Könnten wir es nicht vielleicht schaffen, einen neutralen Blick auf dieses Land zu haben – keinen besonders stolzen, aber eben auch keinen negativen? Denn ich will mir nicht von Rechtsradikalen sagen lassen, was Deutsch sein ist. Das will ich mir einfach nicht gefallen lassen. Solange ich hier lebe, will ich mir von denen nicht sagen lassen wer oder was ein Teil von mir ist. Wenn die von „deutsch sein“ reden, möchte ich schreiben „NEIN, nicht mit mir“. Aber sollte der Umkehrschluss nicht sein, dass wir „deutsch sein“ nicht rechts betrachten – sondern eben versuchen (ja, ist nicht einfach) es neutral zu sehen?

Denn letztendlich ist es doch nichts anderes als eine Augenfarbe – ich bin hier hineingeboren, das konnte ich mir nicht aussuchen. Es ist eine „Beschreibung“, oder? Kein Charakterzug. Deswegen kann man doch auch nicht darauf stolz sein – denn es hat ja nichts mit etwas zu tun, was ich erreicht habe. Natürlich ist es ein Privileg hier aufzuwachsen – aber nicht weil „deutsch sein“ so toll ist, sondern weil wir so viel haben – auch als Europäer – so viele Chancen, die Menschen mit anderen Nationalitäten nicht automatisch haben.

Oft sehe ich mich übrigens lieber als Europäerin, aber je mehr Rechtsdruck da kommt, desto unsicher werde ich ob das wirklich die bessere Lösung ist. Und ob ich nicht meine Einstellung zu Nationalitäten ändern sollte.

Design löst Probleme, findet Wege, zeigt Richtungen.

Privilegien erkennen und verstehen – „Unter Weißen – was es heißt privilegiert zu sein“ von Mohamed Amjahid

Ich bin so fasziniert und begeistern von diesem Buch, dass ich vermutlich seitenweise darüber schreiben könnte. Ich habe so viel gelernt und hatte eine Menge Aha-Momente. Ich bin sehr dankbar für dieses Buch, denn ich versuche mich richtig verhalten und meine Privilegien zu verstehen und doch weiß ich manchmal nicht wie.

So dachte ich lange die Bezeichnung "farbig" ist die politisch korrekte. Woher dieser Glaube kam, kann ich gar nicht genau sagen, wahrscheinlich aus dem amerikanischen "Colored". Aber es macht total Sinn, dass es natürlich eine Form von Othering ist, wenn ich eine bestimmte Gruppe Menschen als farbig und die anderen als was – farblos? – bezeichne? Das ist auch ein Begriff den ich gelernt habe:

Othering – eine Gruppe von Menschen durch "Anderssein" erklären und sich und "seine" Gruppe davon zu differenzieren

Wie oft habe ich schon eine Situation erlebt, in der ich mich unwohl gefühlt habe, aber nicht sagen konnte warum. Wie oft ich schon in Diskussion mit offensichtlichen Rassisten und nicht so offensichtlichen Rassisten war, ohne richtig zu wissen wie ich gegen die antreten kann. Aber mein "Bauchgefühl" mir einfach gesagt hat, dass es falsch ist was die sagen und tun – einfach vollkommen falsch. Es ist nicht leicht gegen sowas anzukommen. Aber ich bin der Meinung, wenn ich es nicht schaffe, dann kann ich es von niemandem sonst verlangen, also muss ich besser werden.

Zum Beispiel, ich weiß noch wie ich bemerkte, dass Viele eine Art "gute" Ausländer und "schlechte" Ausländer Regelung haben. Und damit auch erklären, warum sie selbst nicht rassistisch sind. Denn sie haben ja, diesen oder jenen Freund/Freundin.

Ich bin in einer ländlichen Gegend aufgewachsen und mir wird mit der Zeit immer bewusster, dass nicht alle Menschen eine Multikulturelle Umgebung kennen. Wenn man auf dem Dorf aufwächst sieht man so gut wie nur Weiße. Und alle gehen in die gleiche Kirche. Ich fand Amerika immer faszinierend, weil ich diese vielen Kulturen, vielen unterschiedlichen Menschen spannend fand. Ich denke auch deswegen, hat mir HipHop so gefallen. Besonders in Deutschland, war das die Subkultur mit den meisten Kulturen, die sich gegenseitig akzeptierten.

So absurd es klingt: Ich wurde selbst von manchen "Dorfbewohnern" als "fremd" wahrgenommen, weil meine Mutter aus Österreich kam. Natürlich passierte das nicht oft und es ist in keinem Fall mit Rassismus vergleichbar – das will ich nicht sagen. My Point is: Wenn es schon ungewöhnlich ist, dass nicht beide Elternteile aus Deutschland oder eben aus dem selben Dorf kommen, wie fremd ist es dann wenn jemand auch noch nicht so aussieht wie alle anderen Dorfbewohner? So wahnsinnig absurd.

Ich denke ich werde dieses Buch wohl in Zukunft immer mal wieder konsultieren um mich für die nächsten möglichen Diskussionen vorzubereiten. Ich werde mich hier auch weiter informieren, ich habe letztens von dem Buch "Mit Rechten reden" gehört und das hört sich auch sehr spannend an.

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Margaret Atwoods Handmaid’s Tale oder Der Report der Magd. Eine Designkritik

Vor kurzem habe ich das großartige Buch von Margaret Atwood Handmaids Tale fertig gelesen. Es ist auf jeden Fall sehr empfehlenswert: Spannend und hoch interessant. Es wird eine Welt beschrieben, die uns nicht so fern ist, wie wir vielleicht glauben. Irgendwo hab ich mal gehört, dass nichts dazu erfunden wurde: Alle Teile der Story sind irgendwo, irgendwann mal in dieser Welt so gewesen. Gruselig!

Eine Sache nur: ich habe es durch Zufall in deutsch und englisch und habe es dann auf deutsch fertig gelesen, da mir die Art der Sprache nicht auf der Zunge lag: daher habe ich diesen super Vergleich der cover vor mir: ein wundervolles kreatives Cover auf englisch, welches auf #sciencefiction anspielt und damit das Genre eben sehr gut trifft. Es ist nicht gegendert gestaltet. Es spricht einfach eine Gruppe von Menschen an die dieses Genre gerne lesen. Das deutsche Buch ist sehr anders. Mein Freund meinte es sieht aus als ob es ein Buch für Frauen über Frauen ist. Und, obwohl es natürlich um Frauen geht, ist die Story ja nicht nur für Frauen interessant! Außerdem (obwohl ich das Kunstwerk auf dem deutschen Cover mag) passt die Frau auf dem Cover NULL zur Story, ausgenommen, dass sie ein rotes Kleid an hat und einen weißen Kragen. In der Story dürfen Frauen keinen Lippenstift tragen und ihre Gesichter werden ständig verdeckt. Was also soll das? Im Buch wird eine große Gesellschaftskritik betrieben, das ist doch auch für Männer interessant. Oder ist George Orwell auch nur für Männer?

Die Wahl der Schrift auf dem deutschen Buch macht es leider auch nicht besser: viel mehr unterstützt sie den Charakter des Bildes und deutet eher auf ein historischen Roman oder ähnliches hin. Was ich nicht verstehe ist: der Verlag will doch dass alle Leser*innen zufrieden sind. Wenn jemand einen historischen Roman lesen will und dann diese Story bekommt, fühlt der sich doch fehlgeleitet. Und jüngere Personen greifen im Zweifel gar nicht zu diesem Buch, obwohl es auch gerade eine supercoole Serie zum Buch gibt (sagt mein großartiger Bruder). Verliert man so nicht das richtige Publikum? Also was hat sich die gestaltende Person dabei gedacht? Bzw. Was denkt sich der Verlag dabei? Ich verstehe es nicht.

DerReportderMagd_Designkritik_Bookcoverdesign

#FerranteFever

Angefangen habe ich diese Reihe, weil ich davon hörte, dass die weibliche Identität der Autorin angezweifelt wurde (auch weil gedacht wurde, so ein gutes Buch kann ja nur von einem Mann geschrieben sein…). Das hat mich natürlich gereizt.

Ich gebe zu: das erste Buch war eine kleine Qual. Es kam mir langatmig vor, ich konnte mich weder mit der einen noch mit der anderen Freundin identifizieren. Ich nahm das Buch mit nach Neapel, wo wir für ein verlängertes Wochenende waren und dort packte mich dann doch das #FerranteFever - vielleicht weil die Protagonistinnen in ein ähnliches Alter kamen wie ich? Möglich. Vielleicht auch, weil meine eigenen Identitätskriesen sich mehr und mehr spiegelten.

Meine Lieblingszitate sind aus dem (bisher) letzten Band:

„Die Einsamkeit des weiblichen Denkens ist bedauerlich, (…) dass alle voneinander isoliert sind, ohne Protokolle, ist eine Vergeudung.“

"Die Reduzierung meiner Person auf eine gedeckte Tafel für den sexuellen Appetit des Mannes, auf ein gut gekochtes Gericht, damit ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. Und dann die Angst, es nicht zu schaffen, nicht schön zu erscheinen, es nicht zustande gebracht zu haben, die Vulgarität des Fleisches mit seinen Säften, seinen Gerüchen und seiner Unförmlichkeiten geschickt zu verbergen. (..)"

"Eva kann nichts, weiß nichts und hat keine Materie, um außerhalb von Adam Eva zu sein. Ihr Gut und ihr Böse sind Adams Gut und Adams Böse. Eva ist ein weiblicher Adam. Und das göttliche Werk ist so gut gelungen, dass sie selbst, für sich, nicht weiß, wer sie ist, sie hat keine festen Konturen, besitzt keine eigene Sprache, hat keinen eigenen Geist, keine eigene Logik, mir nichts dir nichts verformt sie sich."

Gerade weil die Freundschaft zwischen Lila und Elena so kompliziert und manchmal ganz und gar nicht liebevoll ist, entspricht sie (meines Erachtens) sehr stark der Realität. Freundschaften, wie wir sie so oft in Film und Fernsehen, Büchern und Zeitschriften sehen/lesen sind oft nur kleine Teile dessen was so eine Beziehung ausmacht: Eben auch viele Emotionen, viel Leid – nicht immer einer Meinung sein, nicht immer alles gemeinsam machen. Getrennte Wege gehen. Sich gegenseitig auch mal hassen oder auch beneiden. Diese Ehrlichkeit hat mich verblüfft und gepackt. Ich kann den vierten Band kaum abwarten.

Etwas wirklich Positives muss ich hier auch über die Gestaltung sagen: Die Illustrationen sind sehr schön: Schlicht und nicht zu schnörkelig. Bei den Büchern handelt es sich um Literatur, nicht um Belletristik und das erkennt man wesentlich besser, als bei Covern der englischen Ausgaben die ich gesehen habe (kitschige Buchcover, die hätte ich nicht mal umgedreht um den Klappentext zu lesen). Die Cover haben auch dazu beigetragen, dass ich die Bücher meiner Mutter geschenkt habe. Es ist auch schön anzusehen, dass die Reihe der Cover durchdacht wurde. Da macht es Spaß zu lesen und die Bücher dann ins Regal zu stellen.

ElenaFerrante_Bookcover-Design

Warum ich „Orange is the new Black“ so liebe.

Ich bin völlig begeistert von dieser Serie (no Spoiler-Allert – Promise). Und die Gründe haben vorrangig nichts mit der Story zu tun. Es geht mir viel mehr um das Setting.

  1. Viele, viele komplexe Frauencharaktere

    Das kommt nicht oft vor. Frauenrollen sind selten. Und wenn sie auch noch mehr können sollen, als der Sidekick sein oder die sexy Women, die dem Film noch ein wenig „Spice“ verleiht, ist man lange auf der Suche. Es wird langsam besser. Aber die großen Serien, haben doch immer mehr männliche Charaktere und auch mal coole Frauen, aber oft eben nicht so, dass diese ständig vor der Kamera sind. Das ist hier anders.

  2. Diversität – People of Color

    Klar, das ganze spielt in Amerika. Dort ist es anders divers als hier (wie würde so eine Serie wohl bei uns aussehen?). Ich finde es toll, dass die Serie so viele verschiedene Menschen zeigt und das auch thematisiert. Auch wenns weh tut.

  3. Diversität – Bodyimage

    In dieser Serie werden ohne viel Heck Meck viele verschiedene Frauenkörper gezeigt. Und das ist ungewöhnlich. Frauenkörper die von der Gesellschaft eigentlich als „nicht zeigbar“ gestempelt sind: Körper die älter als 30 sind, Körper die älter als 40, 50, 60 (und noch mehr!) sind, Körper die nicht weiß sind, Körper die nicht dünn sind. Brüste die auf natürliche Weise liegen, Cellulite, große Hintern, kleine Hinter, dicke Bäuche, kleine und große Speckrollen. Ohne Photoshop. Alles was VOLLKOMMEN NORMAL ist. So wie wir alle aussehen. So wie Frauen (ohne fancy Light und Photoshop) aussehen. Wird dort auf einem ganze normalen Level gezeigt. Auch die Hauptcharaktere haben Körper von unterschiedlichster Natur. Wenn ich mal einen schlechten Tag habe und mein Körper mir unnatürlich vor kommt – Orange is the new Black ist da eine große Abhilfe.

  4. Selbst der flachste Charakter bekommt seine Story

    In jeder Folge wird eine kurze Reise in die Vergangenheit von einem der Charakter gemacht. Das schafft ein Verständnis (zumindest ein bisschen) für den Menschen den man in der Serie selbst vielleicht nicht verstehen mag.

Wie findest du die Serie? Oder kennst du eine ähnliche, die ich mir unbedingt noch ansehen muss? Ich freue mich auf Tips und Infos!