Konflikte stärken & verfestigen den Charakter

Wo wollen wir hin? – Eine gemeinsame Geschichte

Wir brauchen anderen Geschichtsuntericht: Ich habe im Unterricht viel über weit entfernte Geschichte und die Entstehung der (europäischen) Welt gelernt. Und genauso viel auch wieder vergessen, zu großen Teilen weil es mich nicht mehr direkt betrifft.

Was mich viel mehr betrifft ist die Geschichte die ich direkt neben mir sitzen und um mich herum habe: Geschichte über Migration nach Deutschland. Geschichte über Kolonialisierung und deren Auswirkungen auf heute. Geschichte über die DDR und die „Öffnung der Mauer“. Das habe ich nirgends gelernt und ich halte es für so viel wichtiger, als genaue Daten der französischen Revolution auswendig zu lernen.

Vielleicht erspart das auch Deutsche*n mit Migrationshintergrund die blöden Fragerei wo man den nun wirklich herkomme. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass das Menschen sofort in eine „Du bist sichtlich anders als ich/wir“ Situation bringt und man kann es auch nicht mit Neugier verwechseln, wenn es innerhalb der ersten Gesprächsfetzen kommt. Es ist nicht nur „Othering“ vom Feinsten – ich kann es auch aus einer anderen Perspektive nicht verstehen: Es ist schlicht unhöflich. Es betrifft ja immer die persönliche Geschichte von Menschen – das ist doch so als ob ich frage ob deine Eltern verheiratet sind oder du religiös bist! Das geht dich wirklich erst mal nichts an.

Vielleicht würden wir – wenn wir in der Schule schon lernen würden, dass Deutschland ein Land mit vielen Migrationsgeschichten ist – nicht mehr diese Fragen stellen. Und wir würden endlich über etwas sprechen, was wir doch eigentlich schon haben: Eine gemeinsame Geschichte.

Gedanken beim Lesen von „Eure Heimat ist unser Albtraum“ Hrsg. von Fatma Ayedemir und Hengameh Yaghoobifarah – Spezifisch inspiriert von dem Text von Mithu Sanyal „Zuhause“ wo sie schließt mit der Idee, dass wir eine gemeinsame Geschichte zum erzählen brauchen, um gemeinsam zu wissen wo wir hingehen wollen.

Erkenntnis #1 – Erkenntnis heißt nicht Verinnerlichen

Wenn Menschen einen falsch interpretieren, ist das allein deren Verlust. Man selbst kann daran kaum etwas ändern. Aber es ist nicht leicht, das so auch zu leben und zu verdauen.

Wie oft haben mich Mitmenschen darauf hingewiesen, dass sie mich falsch interpretiert haben, dachten ich sei arrogant oder eingebildet. Und dann viel später stellen sie fest: ich bin es nicht. Aber es schien mir nie so, als ob diese Menschen es auf Ihre Kappe nehmen – dass sie es als Ihren Fehler sehen. Vielmehr wurde mir erklärt, wie es dazu kam: Wie ich mich verhalten habe, mein Gesichtsausdruck etc. Das sie das Ganze falsch interpretiert haben und ich nichts an meinem Gesichtsausdruck ändern kann, ist ihnen – scheinbar – nie in den Sinn gekommen.

Ich wünsche ich hätte diese Erkenntnis schon viel früher in mir gehabt. Sie früher verinnerlicht. Jetzt sehe ich es klar: es ist Teil einer systemischen Unterdrückung, etwas was wir lernen durch unsere Gesellschaft. Mir hat noch nie ein Mann von solchen Erlebnissen erzählt (aber ich bin offen für Stories und schließe das nicht grundsätzlich aus), es ist aber etwas was ich schon häufig von Frauen gehört habe.

Wie groß meine Gefühle, als ich das Buch von Sharyl Sandberg „Lean in“ gelesen habe: Ein Gefühl zwischen Ohnmacht und Erleichterung – mehr im Sinne der Erkenntnis. Endlich stand das was ich regelmäßig erlebt habe „Schwarz auf Weiß“ vor mir: Frauen werden in vielen Dingen negativer bewertet, in Dingen wie Sympathie und Erfolg. Sprich: Mein Gesichtsausdruck wird als arrogant und eingebildet gewertet, sprich: ich habe es schwerer mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen, ihr Vertrauen zu erhalten. Während ein Mann mit dem gleichen Gesichtsausdruck (der Gesichtsausdruck ist: Nicht-Lächelnd) nicht so interpretiert wird. Sondern vielleicht nur konzentriert wirkt.

Tatsächlich hat mich diese Erkenntnis erst mal noch mehr gelähmt. Ich hatte Angst davor, war immer vorsichtig, dass ich nicht unfreundlich wirke und habe viel (zu viel) freundlich gelächelt. Auch weil ich dachte, ich habe keine richtige Wahl: Ich bin als Selbstständige auf den ersten Eindruck angewiesen. Wenn mich jemand erst mal 3 Jahr kennen muss, um zu erkennen, dass ich ja eigentlich gar nicht so arrogant bin, bin ich schon pleite.

Das ist einfach so ungerecht. Wieso ist es so viel schwerer für Frauen (auch unter Frauen) Sympathie und Kompetenz auszustrahlen? Man kann beides ausstrahlen, jedoch wird es wahrscheinlich anders interpretiert.

Schwarz-Weißes Denken – oder leben in der Zwischenwelt

Ich befand mich vor Kurzem in einer Situation, die mich sehr unglücklich gemacht hat. Am Tisch mit Freunden/Bekannten, beim Essen: um mich herum wurde wild diskutiert. Das heißt eigentlich wurde nicht diskutiert – es fand kein „Diskurs“ statt, sondern es wurden große Meinungen vorgetragen. Vergleiche gezogen. Extrembeispiele mit anderen Extrembeispielen verglichen um die eigene Meinung deutlich zu machen.

Ich habe mich sehr unwohl gefühlt, in mir brodelte es – alles war viel zu schwarz weiß dargestellt. Was ich meine ist: Extreme. Es wurde keine Zwischenwelt, kein Verständnis für die eine oder andere Seite aufgebracht. Und obwohl auch ich Dinge kenne, bei denen es auch für mich an Verständnis fehlt: Ich kann es nicht über mich bringen alles und jenen immer gleich zu verurteilen. In Gut und Schlecht einzuteilen. Ich kann es nicht. Ich kann mir nicht helfen, ich muss mich immer fragen, ob ich beim verurteilen nicht gerade etwas Wichtiges übersehe. Und das tue ich sicher. Und ja, sicher es ist so viel einfacher alles so schwarz weiß zu sehen. Aber nicht für mich. Für mich macht es einfach alles komplizierter.

Denn ich kann mich nicht ausnehmen. Ich vergesse nicht, wie ich vielleicht selbst schon mal etwa getan habe, das hier und jetzt in eine Kategorie fällt oder so interpretiert werden kann. Wer kann sich schon frei sprechen, von solchen Dingen? Und genau da, sitzt meine Frage: Wie können wir so schnell verurteilen, wenn wir doch selbst niemals so schwarz weiß sind?

Ein relativ unpolitisches, neutrales Beispiel sei hier dargestellt:

Wie können wir beispielsweise stolz erzählen, kein Apple-Fingerprint zu verwenden („denn die NSA soll den nicht kriegen!“) und gleich stolz am nächsten Tag davon sprechen, dass man alles mit der Kreditkarte verbunden hat und nur noch mit dieser zahlt? Wie kann man in der einen Ecke so verurteilend über das Eine (denn es war klar, dass mein Fingerprint schon gelagert wird), aber nicht reflektierend über sich selbst sprechen? Wieso überhaupt urteilen? Ich habe in dem Moment Niemanden von möglichen Gefahren der Kreditkartenbezahlung erzählt – warum auch?

Ich habe mich nach der wilden Meinungsverteilung am Tisch ein wenig zurückgezogen und diesen Artikel hier gelesen und mich schnell verstanden gefühlt. Hier ist er, für alle die mit mir fühlen 😉

You’re Not ‘Too Sensitive’ for Leaving a Toxic Situation

Privilegien erkennen und verstehen – „Unter Weißen – was es heißt privilegiert zu sein“ von Mohamed Amjahid

Ich bin so fasziniert und begeistern von diesem Buch, dass ich vermutlich seitenweise darüber schreiben könnte. Ich habe so viel gelernt und hatte eine Menge Aha-Momente. Ich bin sehr dankbar für dieses Buch, denn ich versuche mich richtig verhalten und meine Privilegien zu verstehen und doch weiß ich manchmal nicht wie.

So dachte ich lange die Bezeichnung "farbig" ist die politisch korrekte. Woher dieser Glaube kam, kann ich gar nicht genau sagen, wahrscheinlich aus dem amerikanischen "Colored". Aber es macht total Sinn, dass es natürlich eine Form von Othering ist, wenn ich eine bestimmte Gruppe Menschen als farbig und die anderen als was – farblos? – bezeichne? Das ist auch ein Begriff den ich gelernt habe:

Othering – eine Gruppe von Menschen durch "Anderssein" erklären und sich und "seine" Gruppe davon zu differenzieren

Wie oft habe ich schon eine Situation erlebt, in der ich mich unwohl gefühlt habe, aber nicht sagen konnte warum. Wie oft ich schon in Diskussion mit offensichtlichen Rassisten und nicht so offensichtlichen Rassisten war, ohne richtig zu wissen wie ich gegen die antreten kann. Aber mein "Bauchgefühl" mir einfach gesagt hat, dass es falsch ist was die sagen und tun – einfach vollkommen falsch. Es ist nicht leicht gegen sowas anzukommen. Aber ich bin der Meinung, wenn ich es nicht schaffe, dann kann ich es von niemandem sonst verlangen, also muss ich besser werden.

Zum Beispiel, ich weiß noch wie ich bemerkte, dass Viele eine Art "gute" Ausländer und "schlechte" Ausländer Regelung haben. Und damit auch erklären, warum sie selbst nicht rassistisch sind. Denn sie haben ja, diesen oder jenen Freund/Freundin.

Ich bin in einer ländlichen Gegend aufgewachsen und mir wird mit der Zeit immer bewusster, dass nicht alle Menschen eine Multikulturelle Umgebung kennen. Wenn man auf dem Dorf aufwächst sieht man so gut wie nur Weiße. Und alle gehen in die gleiche Kirche. Ich fand Amerika immer faszinierend, weil ich diese vielen Kulturen, vielen unterschiedlichen Menschen spannend fand. Ich denke auch deswegen, hat mir HipHop so gefallen. Besonders in Deutschland, war das die Subkultur mit den meisten Kulturen, die sich gegenseitig akzeptierten.

So absurd es klingt: Ich wurde selbst von manchen "Dorfbewohnern" als "fremd" wahrgenommen, weil meine Mutter aus Österreich kam. Natürlich passierte das nicht oft und es ist in keinem Fall mit Rassismus vergleichbar – das will ich nicht sagen. My Point is: Wenn es schon ungewöhnlich ist, dass nicht beide Elternteile aus Deutschland oder eben aus dem selben Dorf kommen, wie fremd ist es dann wenn jemand auch noch nicht so aussieht wie alle anderen Dorfbewohner? So wahnsinnig absurd.

Ich denke ich werde dieses Buch wohl in Zukunft immer mal wieder konsultieren um mich für die nächsten möglichen Diskussionen vorzubereiten. Ich werde mich hier auch weiter informieren, ich habe letztens von dem Buch "Mit Rechten reden" gehört und das hört sich auch sehr spannend an.

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